Was kommt auf uns zu?

  1. Der Traum von Evidenz
  2. DSM in 5 Varianten
  3. Die Kritik an DSM
  4. Der gespaltene Mensch
  5. Die Soldaten mit PTSD
  6. Was kommt auf uns zu?

Dies ist Blogeintrag sechs einer Serie von sechs. Sie können auf die anderen Einträge zugreifen, indem Sie oben auf ihre Titel klicken.

Würde eine Lösung der obengenannten Problematik eine Vernichtung des DSM-Systems bedeuten, wenn dieses überhaupt möglich ist? Nein, müsste die Antwort lauten. Wir müssen nicht noch ein Kind mit dem Bade ausschütten, sowie es passierte, als DSM den psychoanalytischen Bezugsrahmen zugunsten der evidenzbasierten Wissenschaft aufgab. Nein, dann sollte man lieber analysieren, was in den Versuchen nicht funktioniert hat. Das DSM-System spiegelt die vorherrschende Denkweise von heute wieder und verlangt eine offene, gründliche und kritische Analyse, welche zu einer Lösung, die das Verhältnis zwischen Subjekt und Wissenschaft berücksichtigt, beitragen kann.

Ein guter Anfang wäre die Vorstellung von Theorieneutralität zu verwerfen. Wo der Mensch agiert, gibt es keine Theorieneutralität. Darüber hinaus gibt es keine objektiven Fakten – auch nicht in der Wissenschaft-, wenn diese nicht theoriebasiert ist.  Es ist immer eine fragwürdige Angelegenheit Fakten und Evidenzen gleichzusetzten. Selbst in einer evidenzbasierten Praxis werden die neusten, gängigen Ergebnisse aus der klinischen Forschung mit der klinischen Expertise eines Therapeuten kombiniert. Die Idee ist natürlich die wissenschaftliche Herangehensweise in der klinischen Praxis zu stärken, aber Achtung! Die Definition, die von drei der Gründer der evidenzbasierten Medizin stammt, setzt schon die klinische Expertise eines Therapeuten mit Evidenz gleich. Das heißt, dass die klinische Expertise des Therapeuten nicht evidenz- sondern erfahrungsbasiert ist.

In einer Zeit wo die Evidenz ein hohes Ansehen genießt und der Status der Erfahrungswerte eher kümmerlich ist, kann der Therapeut in Versuchung geraten sich von der Evidenz, die im Moment in Fachkreisen am populärsten ist, steuern zu lassen. Ja, das Evidenzbasierte wird fast zum Synonym für Erfahrung und klinische Expertise. Es könnte so weit kommen, dass ein Kliniker bei der bloßen Vorstellung etwas sei nicht evidenzbasiert das Interesse an dieser oder jener Sache sofort verliert.  Es sieht praktisch und effektiv aus und bietet einen Weg zu schnellen Diagnosen in einer Zeit wo die Wartelisten lang sind und der Druck des Versprechens einer kürzeren Wartezeit für eine Behandlung steigt. Das ist auch ein Weg die Ressourcen zu sparen, die eine umfassendere Auseinandersetzung benötigen würde. Aber es ist auch ein altbewährter Weg die Prinzipien zu untergraben, worauf die Praxis sich bezieht.

Das Muster ist ein Klassiker. Die Menschheit hat dieses Spiel schon unzählige Male erlebt, sowohl in großen als auch kleinen Zusammenhängen. Und so sind viele wertvolle Beiträge auf dem Friedhof der guten Einfälle gelandet. Wird der Evidenz das gleiche Schicksal zuteilwerden?

End

2015-01-11, deutsche Version 2018-03-07