Die Soldaten mit PTSD

  1. Der Traum von Evidenz
  2. DSM in 5 Varianten
  3. Die Kritik an DSM
  4. Der gespaltene Mensch
  5. Die Soldaten mit PTSD
  6. Was kommt auf uns zu?

Dies ist Blogeintrag fünf einer Serie von sechs. Sie können auf die anderen Einträge zugreifen, indem Sie oben auf ihre Titel klicken.

Die Verabschiedung des neuen PTSD-Gesetztes hat als Nebenwirkung die Fachleute dazu bewegt auf die Unzulänglichkeiten der medizinischen und therapeutischen Behandlungsmöglichkeiten der Soldaten, die am härtesten von PTSD betroffen sind, aufmerksam zu machen. Um den Sachverhalt genauer zu klären, werden Soldaten, die aus Kriegsgebieten zurückkehren einem Gehirnscan unterzogen. Als der Plan die Soldaten zu scannen bekannt gegeben wurde, löste es in dem „Konstabel- und Korporalverein“ der Armee Begeisterung aus. „Wenn durch die Forschung dokumentiert werden kann, dass das Gehirn der PTSD-betroffenen Soldaten auf Grund der Krankheit anders arbeitet als das gesunder Menschen, besteht die Hoffnung, dadurch der Krankheit eine stärkere Anerkennung in der Bevölkerung zu verleihen“.

Im Vorgenannten begegnen sich mehrere Bereiche: Therapiebereich, Ökonomie, Politik, Wissenschaft und vor allem die Sehnsucht der Soldaten nach Anerkennung der Gefahren, denen sie im Krieg ausgesetzt werden, wie z.B. der Gefahr von PTSD. Die Wissenschaft ist der Bezugspunkt für sowohl Fachleute als auch für die Soldaten.

Die Erwartung einen deutlichen Hinweis vom Gehirn zu bekommen bzgl. der Ursachen vieler Probleme begrenzt sich nicht nur auf die Soldaten. Auch in der Bevölkerung ist die Auffassung der Soldaten weit verbreitet. Das Gehirn ist die eigentliche Schlagzeile. Deshalb scheint es logisch wenn die Anerkennung der Krankheit von der Hirnforschung kommt. Ob Gehirnscans dann mit dem Problemkomplex PTSD Schritt halten können, ist ein anderes Thema.

„Ein guter Anfang wäre es den Gedanken von Theorieneutralität zu verwerfen. Wo der Mensch als Subjekt agiert, gibt es keine Theorieneutralität.“

Die Gehirnscans an sich sind nicht das Problem. Sie können zu einer präziseren, neurowissenschaftlichen Klarheit der Mechanismen beitragen, die in den PTSD-Symptomen Ausdruck finden. Das Problem liegt darin, dass man die Erklärung bzw. Lösung eines Syndroms wie PTSD einer technowissenschaftlichen Evidenz überlässt. Und man vermittelt die Hoffnung kurz vor einer Lösung zu stehen, was auch oft in der Fachliteratur zum Ausdruck gebracht wird. Die Komplexität der PTSD-Diagnose ist nicht für eine Antibiotikumlösung geeignet (angesichts der Bemühungen der Psychiatrie der somatischen Medizin nachzueifern). Die Gehirnscans decken also nur teilweise die konstruierte, politisch-wissenschaftliche Definition des Syndroms ab. Teils überschreitet die PTSD-Diagnose die Grenze zur Neurowissenschaft, teils ist die Wissenschaft an sich schon von den nicht-wissenschaftlichen (den subjektbetonten) Merkmalen beeinflusst, auf denen die PTSD-Diagnose ruht. Trotzdem erwartet man, dass das Gehirn die Antworten auf Fragen liefert, die hauptsächlich mit Beziehung und Seele zu tun haben.

Den Soldaten und ihren Therapeuten ist bewusst, dass andere Faktoren als das Gehirn maßgeblich dafür sind, wie gut ein Soldat durch seine Mission kommt. Z.B. spielt die Beziehungen der Soldaten untereinander und zu ihren Offizieren eine nicht unwichtige Rolle. Das sind Beziehungsfaktoren und keine gehirnphysiologischen Ursachen, wenn auch die Beziehungen unter anderem durch die Gehirnphysiologie stattfinden. Das Verlangen nach messbarer Gehirnaktivität, auch wenn es um Beziehungen zwischen Menschen geht, ist groß.

Der öffentliche Diskurs zum Thema PTSD regt zu einer Verschmelzung der Unterschiede des Gehirns und des Geistes an und lässt das Gehirn für beide zuständig sein. Er unterstützt eine Praxis, die davon ausgeht, dass eine techno-wissenschaftliche Evidenz für Zwecke wie Evaluierung, Zertifizierung, Regulierung und Verwaltung menschlicher Probleme und Schwierigkeiten verwendet werden kann, unter Einfluss einer verschwommenen Vorstellung, dass man ungestraft, den menschlichen Faktor ignorieren bzw. aufheben kann. Ohne direkt das Gehirn als Knotenpunkt zu sehen, verstärken die DSM-Manuale diesen Ansatz, unter anderem indem sie eine Sprache fördern, die wenig Raum für das Subjekt, sowohl bei den Patienten als auch bei den Therapeuten, zulässt und indem immer mehr Teile der Normalität in eine psychopathologische Diagnose umgewandelt werden. Und so geht man immer mehr in Richtung Entmenschlichung in der psychiatrischen Praxis. Die Richtlinien erscheinen vielleicht konkreter und überschaubarer entsprechen aber nicht der Realität, in der wir uns befinden und den Problemen, denen wir gegenüberstehen. Z.B. ist die Anerkennung der Schwierigkeiten der Veteranen in erster Linie keine Frage des Gehirns aber eine Frage der Seele, sowohl bei dem Individuum als auch in der Gesellschaft.

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2014-12-01, deutsche Version 2018-03-07