DSM in 5 Varianten

  1. Der Traum von Evidenz
  2. DSM in 5 Varianten
  3. Die Kritik an DSM
  4. Der gespaltene Mensch
  5. Die Soldaten mit PTSD
  6. Was kommt auf uns zu?

Dies ist Blogeintrag zwei einer Serie von sechs. Sie können auf die anderen Einträge zugreifen, indem Sie oben auf ihre Titel klicken.

Die PTSD-Diagnose wurde in einer Zeit eingeführt, in der amerikanische Psychiater sich entschieden hatten drastisch im DSM aufzuräumen. Die Situation damals war, dass die Psychiater so unterschiedlich diagnostiziert haben, dass bei der Einschätzung eines Falles nur 3 von 10 Psychiatern zur gleichen Diagnose gekommen sind.  Es gab nationale, ja sogar lokale Diagnoselisten. Es war sehr schwierig Vergleiche vorzunehmen und die Forschung hat darunter gelitten.

Die ersten zwei Versionen (DSM-I, 1952 und DSM II, 1968) waren psychoanalytisch orientiert. Im Mittelpunkt standen die psychischen Konflikte und die Fähigkeiten des Ichs diese Konflikte zu bewältigen. Aber die amerikanische Psychiatrie musste erkennen, dass diese Herangehensweise weder präzise noch zutreffend genug war, um die Probleme, deren sie täglich gegenübergestellt wurde, zu lösen. Gleichzeitig stand die psychopharmakologische Revolution der 50er Jahre kurz vor ihrem entscheidenden Durchbruch und die biologische Zukunft der Psychiatrie war in aller Munde. Jetzt war die Zeit der wissenschaftlichen Evidenz gekommen. Schluss mit Lebensgeschichten und ungünstigen Lebensbedingungen in der Kindheit, Schluss mit Erlebnissen und sozialen Faktoren, mit Interpretationen und Gerede, jetzt wollte man Zahlen sehen, jetzt war das Gehirn im Zentrum. Dieses wurde zur Kenntnis genommen und eine umfassende Überarbeitung des Manuals wurde in Auftrag gegeben unter der Leitung des abtrünnigen Psychoanalytikers Robert Spitzer.

Auf Kosten allgemeiner Beschreibungen gewannen diagnostische Kriterien eine größere Bedeutung. Die psychoanalytisch gefärbten Diagnosen – Neurosen, Psychosen, Perversionen und  die Psychosomatik – wurden entfernt oder eingedämmt. Sie seien zu bewertend. Das Manual sollte evidenzbasiert und theorieneutral sein. Eine gemeinsame, diagnostische Sprache musste entwickelt werden, damit man klinische Informationen im internationalen Rahmen zu Forschungszwecken austauschen konnte. Diagnosen in Buxtehude, Jekaterinburg oder San Francisco zu vergleichen, sollte einen wissenschaftlichen Sinn machen.

Was aus der Theorieneutralität wurde, darüber hat keiner sich Gedanken gemacht. Wer hat in der Hitze des Gefechts daran gedacht, dass der in Nordamerika regierende Pragmatismus, auch nur eine Theorie war? Wie auch immer, die Trendwende führte zu der Herausgabe des DSM-IIIs im Jahr 1980. Das Manual wurde ein weltweiter Erfolg, und das Gleiche galt auch für den Nachfolger DSM-IV.

Das vor kurzem erschienene DSM-5 (2013) bewegt sich im Windschatten seines Vorgängers, erlebt aber ein bisschen mehr Gegenwind. Abgesehen davon, dass es wie eine ethische Wüstenwanderung erscheint, was die mentale Gesundheit des Individuums und  der Gesellschaft betrifft, scheint das Projekt letzten Endes seinem eigenen, ursprünglichen Ziel entgegenzuarbeiten, nämlich der Wissenschaftlichkeit in der Psychiatrie. In den vergangenen 30 Jahren seit der Erscheinung des DSM-IIIs, ist das System zuverlässiger geworden, allerdings nicht auf die Art und Weise, wie man sich das vorgestellt hat. Der Grund weshalb Psychiater jetzt weltweit zu der gleichen Diagnose gelangen, ist in erster Linie darauf zurück zu führen, dass sie alle mit DSM als Ausgangspunkt geschult und geprüft worden sind. Zum Beispiel werden die Diagnosen so formuliert,  dass sie den Umfang des Versicherungsschutzes der amerikanischen Krankenversicherungen mitberücksichtigen.

Summa summarum: das was das System an Verlässlichkeit gewonnen hat, hat es wieder an Gültigkeit verloren und da wo man wissenschaftliche Erklärungen und Ursachen erwarten könnte, da ist man immer noch bei den biologischen Beschreibungen stehengeblieben.

Nicht desto trotz ist das Manual so sehr zur Bibel der Psychiatrie geworden, dass der internationale, diagnostische Leitfaden, ICD, in seiner bevorstehenden 2015-Ausgabe vor hat dem DSM nachzueifern besonders wenn es um mentale und verhaltensmäßige Störungen geht. Schließlich ist das Manual jetzt auch zu einem unausweichlichen Bezugspunkt im Bereich der Versicherungen, der Rechtsprechung, der Gefängnisse, der Schulen etc. geworden.

Die allgemeine Gültigkeit des Manuals ist zu gering um es als wissenschaftliches Werkzeug zu benutzen, aber dafür kann es als einfaches Wörterbuch und Schlüsselliste fungieren, mit der Gefahr als stupides System das man auswendig lernt ohne jeglichen menschlichen Inhalt zu enden. Obwohl man hervorheben könnte, dass der klinische Gebrauch des DSMs immer noch am meisten in Amerika verbreitet ist, ist die Tendenz nicht nur auf Amerika beschränkt.  Wie konnte das bloß so schief gehen?

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2014-11-08, deutsche Version 2018-03-07